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Konsumkollagen – Persönliche Aneignung versus kommerzielle Verwertung im Möbeldesign

Veröffentlicht in: Sammelband »Konsumguerilla. Widerstand gegen Massenkultur?« (2008) herausgegeben von Birgit Richard und Alexander Ruhl im Campus-Verlag

Auszug:

Produkte aus der Massenfertigung haben – im Gegensatz zu handwerklich hervorgebrachten – keine eigene Persönlichkeit. Im Gegenteil: Ihre Uniformität widerspricht dem Wunsch der Käufer nach Selbstbestimmung und Einzigartigkeit. Hersteller versuchen diesen Mangel auszugleichen, indem sie Markenpersönlichkeiten kreieren und diese über Werbung vermitteln. Konsumenten entwickeln ihrerseits Strategien, um die Produkte aus der Anonymität der Warenwelt herauszulösen und in den persönlichen Besitz zu überführen. Der Begriff der Aneignung bezeichnet diesen aktiven Prozess. Er umfasst weit mehr als den Kaufakt selbst: man möchte sich ein Produkt zu Eigen machen, sich mit ihm identifizieren und es als persönliches Statement verstehen. Dabei unterscheiden sich die Vorgehensweisen, Absichten und ihr jeweiliger Stellenwert erheblich. Sie reichen von »kleinen, starrsinnig anmutenden Gesten der Identifikation mit Objekten« (Boehe/Selle 1986: 33f), über individuelle Kombinationen und Umcodierungen bis hin zu umfassenden Modifikationen, nach denen das Ursprungsobjekt fast nicht mehr zu erkennen ist.

Viele dieser Aneignungsprozesse laufen in unserem Alltag automatisch und unbewusst ab. So bilden Gebrauchserfahrungen, wie die Auswahl eines Kugelschreibers nach Griffigkeit oder das Testen eines Sofas auf Bequemlichkeit erste individuelle Unterscheidungskriterien, um ein Produkt aus der Masse herauszuheben. Die Vielschichtigkeit dieser Gebrauchserfahrungen steigt mit dem Erfahrungshorizont ständig an, worunter die Handhabbarkeit jedoch nicht zwangsläufig leidet. Im Bereich der Mode gehen die als alltäglich empfundenen Praktiken der Aneignung noch weiter. Durch die Auswahl und Kombination der persönlichen Kleidungsstücke wird neben dem individuellen Stil auch die Zugehörigkeit zu Konsum-, Stil und Wertegemeinschaften ausgedrückt. Zusätzlich zur Zusammenstellung des Outfits erzeugt die Trageweise der Kleidung – wie etwa das Anziehen eines T-Shirts über einem Hemd – Bedeutung. Das gezielte Verändern, zum Beispiel durch das Abtrennen von Ärmeln, markiert eine weitere Form der individuellen Aneignung. Diese Form, Produkte durch Modifikationen zu einem Teil des Selbst zu machen, ist im Automobilbereich sehr häufig anzutreffen. Vor allem in der Tuning- oder Hot-Rod-Szene ist sie schon fast Selbstzweck. Die Fahrzeuge dienen hier häufig nur noch als Leinwand, auf der Auto-Fans ihre eigene Vision von der perfekten (meist stehenden) Fahrmaschine verwirklichen.

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Literatur:
Boehe, Jutta/Selle, Gert (1986), Leben mit den schönen Dingen : Anpassung und Eigensinn im Alltag des Wohnens, Reinbek bei Hamburg.

© Thilo Schwer 2008

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Autor:
Datum: Freitag, 3. April 2009 15:32
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