Veröffentlicht in: »Konsumfashionista – Mediale Ästhetiken des Modischen« (2018) herausgegeben von Birgit Richard, Jana Müller und Eleni Blechinger im Fink Verlag
Auszug:
Heimwerken, Handarbeiten – kurz: das Selbermachen in jeglicher Form – sind seit der Industrialisierung explizite Gegenpole zur seriellen Produktion. Gleichwohl werden Handwerk und manuelle Tätigkeiten in den letzten Jahren wieder verstärkt wahrgenommen und diskutiert. Liegt aktuell eine zyklische gesellschaftliche Reflexion dieser Thematik vor oder kann infolge Web 2.0 und digitaler Werkzeuge von einer neuen Qualität gesprochen werden? Anhand der Maker-Szene sowie dem damit assoziierten 3D-Druck lassen sich Gemeinsamkeiten, aber auch grundlegende Unterschiede aufzeigen.
Heimwerken, Handarbeiten – kurz: das Selbermachen in jeglicher Form – sind seit der Industrialisierung explizite Gegenpole zur seriellen Produktion. Gleichwohl werden Handwerk und manuelle Tätigkeiten in den letzten Jahren wieder verstärkt wahrgenommen und diskutiert. Liegt aktuell eine zyklische gesellschaftliche Reflexion dieser Thematik vor oder kann infolge Web 2.0 und digitaler Werkzeuge von einer neuen Qualität gesprochen werden? Anhand der Maker-Szene sowie dem damit assoziierten 3D-Druck lassen sich Gemeinsamkeiten, aber auch grundlegende Unterschiede aufzeigen.
Handwerker oder „Maker“?
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts verstand sich die englische Arts-and-Crafts-Bewegung als Instanz gegen die weitreichenden Veränderungen der industriellen Revolution. Die Maschinenproduktion und den dadurch verursachten Perfektionismus sahen viele Zeitgenossen kritisch. Erstmals wahrgenommene Wechselwirkungen wie Umweltverschmutzung, Ausbeutung der Arbeiter oder Sinnverlust durch arbeitsteilige Prozesse bildeten weitere Anlässe für eine skeptische Haltung. In der Folge propagierten selbsternannte Sozialreformer ein romantisierendes Bild künstlerisch-handwerklicher Produktionsformen, wie beispielsweise William Morris, der eine Bauhütte nach mittelalterlichem Vorbild wiedererstehen ließ. Auch im weiteren Verlauf stieß die Verflechtung mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und produktionstechnischen Anforderungen im Design immer wieder anti-industrielle Bewegungen an. In diesem Rahmen wurde regelmäßig auf das Handwerk zurückgriffen, wie Dagmar Steffen anhand von Produktions- und Arbeitsstil darlegt (1). Zu nennen sind aus deutscher Perspektive das Recycling-Design und das alternative Handwerk der 1970er-Jahre. Sie loteten ausgehend von der Funktionalismuskritik neue Formen von Gestaltung und selbstbestimmter Produktion aus (2); ebenso das „Neue Deutsche Design“ der 1980er-Jahre, das mit experimentellen und spielerischen Entwürfen weniger für den alltäglichen Gebrauch, als vielmehr für Galerien und Ausstellungen produzierte.
Doch auch auf privater Ebene wurden in der Freizeit stets eigenhändig Dinge erzeugt. Im Rahmen von Handarbeit, Heimwerken oder Hobby, um nicht Vorhandenes selbst herzustellen, Kosten zu sparen oder schlicht um sich selbst sinngebend zu beschäftigen. Beispiele wie die Radio-Bastler-Bewegung der 1920er-Jahre (3) oder Hacks von Computerclubs (4) zeigen, dass auch Amateure durchaus technisch anspruchsvolle Ansätze entwickeln können.
Ungeachtet dieser langen Tradition und einer zyklischen Aufmerksamkeit für von Hand gefertigte Erzeugnisse wurde ab 2008 in Deutschland eine neue „Mitmach-Revolution“ (5) ausgerufen. Unter Bezeichnungen wie „Do-it-yourself“ (DIY), „Do-it-with-others“ (DIWO), „Marke Eigenbau“ (6) u.v.m. erfährt diese seither einen großen Widerhall im öffentlichen Diskurs. Die Präsenz und Quantität selbst hergestellter Objekte sind heutzutage eng mit der Entwicklung von Web 2.0 bzw. Mitmach-Netzen verbunden. Anwenderfreundliche Softwarelösungen versetzen nun auch unerfahrene Nutzer in die Lage, Texte, Bilder und Videos eigenständig im Internet zu veröffentlichen (7).
[…]
Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts verstand sich die englische Arts-and-Crafts-Bewegung als Instanz gegen die weitreichenden Veränderungen der industriellen Revolution. Die Maschinenproduktion und den dadurch verursachten Perfektionismus sahen viele Zeitgenossen kritisch. Erstmals wahrgenommene Wechselwirkungen wie Umweltverschmutzung, Ausbeutung der Arbeiter oder Sinnverlust durch arbeitsteilige Prozesse bildeten weitere Anlässe für eine skeptische Haltung. In der Folge propagierten selbsternannte Sozialreformer ein romantisierendes Bild künstlerisch-handwerklicher Produktionsformen, wie beispielsweise William Morris, der eine Bauhütte nach mittelalterlichem Vorbild wiedererstehen ließ. Auch im weiteren Verlauf stieß die Verflechtung mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und produktionstechnischen Anforderungen im Design immer wieder anti-industrielle Bewegungen an. In diesem Rahmen wurde regelmäßig auf das Handwerk zurückgriffen, wie Dagmar Steffen anhand von Produktions- und Arbeitsstil darlegt (1). Zu nennen sind aus deutscher Perspektive das Recycling-Design und das alternative Handwerk der 1970er-Jahre. Sie loteten ausgehend von der Funktionalismuskritik neue Formen von Gestaltung und selbstbestimmter Produktion aus (2); ebenso das „Neue Deutsche Design“ der 1980er-Jahre, das mit experimentellen und spielerischen Entwürfen weniger für den alltäglichen Gebrauch, als vielmehr für Galerien und Ausstellungen produzierte.
Doch auch auf privater Ebene wurden in der Freizeit stets eigenhändig Dinge erzeugt. Im Rahmen von Handarbeit, Heimwerken oder Hobby, um nicht Vorhandenes selbst herzustellen, Kosten zu sparen oder schlicht um sich selbst sinngebend zu beschäftigen. Beispiele wie die Radio-Bastler-Bewegung der 1920er-Jahre (3) oder Hacks von Computerclubs (4) zeigen, dass auch Amateure durchaus technisch anspruchsvolle Ansätze entwickeln können.
Ungeachtet dieser langen Tradition und einer zyklischen Aufmerksamkeit für von Hand gefertigte Erzeugnisse wurde ab 2008 in Deutschland eine neue „Mitmach-Revolution“ (5) ausgerufen. Unter Bezeichnungen wie „Do-it-yourself“ (DIY), „Do-it-with-others“ (DIWO), „Marke Eigenbau“ (6) u.v.m. erfährt diese seither einen großen Widerhall im öffentlichen Diskurs. Die Präsenz und Quantität selbst hergestellter Objekte sind heutzutage eng mit der Entwicklung von Web 2.0 bzw. Mitmach-Netzen verbunden. Anwenderfreundliche Softwarelösungen versetzen nun auch unerfahrene Nutzer in die Lage, Texte, Bilder und Videos eigenständig im Internet zu veröffentlichen (7).
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Literatur:
(1) Steffen, Dagmar: „Das Handwerk als Produktions- und Arbeitsstil. Widerstand, Koexistenz und Konvergenz zur Industriekultur“, in: Breuer, Gerda und Christopher Oestereich (Hrsg.): Seriell – individuell: Handwerkliches im Design. Weimar: 2014, S. 15–28
(2) Als Beispiel kann die Offenbacher Des-In-Gruppe genannt werden. Vgl. hierzu Gros, Jochen: „DES-IN: Ein Nachruf über 20 Jahre“, in: Projektgruppe Up Date und Petra Kellner (Hrsg.): Mehr weniger? Projektbuch Kolloquium, Juni ’93; 3.6. – 5.6.1993, Hochschule für Gestaltung, Offenbach; Projekte und Positionen deutscher Designschulen / Über den Umgang mit ökologischen Herausforderungen in der Designausbildung. Offenbach am Main 1993, S. 116–121.
(3) Vgl. hierzu: Oder, Helge: „Kulturelle Nachhaltigkeit, Open Design und Prototyping“, in: Mareis, Claudia, Matthias Held und Gesche Joost (Hrsg.): Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und Geschichte des partizipatorischen Designs. Bielefeld 2012, S. 141–155.
(4) Vgl. hierzu Waitz, Thomas: „Hacking: Selbst Machen“, in: Hornung, Annabelle u.a. (Hrsg.): Do it yourself: Die Mitmach-Revolution. Mainz 2011, S. 40–47.
(5) Hornung, Annabelle u.a. (Hrsg.): Do it yourself: Die Mitmach-Revolution. Mainz 2011.
(6) Friebe, Holm und Thomas Ramge: Marke Eigenbau: der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion. Frankfurt am Main 2008.
(7) Vgl. Reichert, Ramón: Amateure im Netz : Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0. Bielefeld 2008, S. 8ff.
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(1) Steffen, Dagmar: „Das Handwerk als Produktions- und Arbeitsstil. Widerstand, Koexistenz und Konvergenz zur Industriekultur“, in: Breuer, Gerda und Christopher Oestereich (Hrsg.): Seriell – individuell: Handwerkliches im Design. Weimar: 2014, S. 15–28
(2) Als Beispiel kann die Offenbacher Des-In-Gruppe genannt werden. Vgl. hierzu Gros, Jochen: „DES-IN: Ein Nachruf über 20 Jahre“, in: Projektgruppe Up Date und Petra Kellner (Hrsg.): Mehr weniger? Projektbuch Kolloquium, Juni ’93; 3.6. – 5.6.1993, Hochschule für Gestaltung, Offenbach; Projekte und Positionen deutscher Designschulen / Über den Umgang mit ökologischen Herausforderungen in der Designausbildung. Offenbach am Main 1993, S. 116–121.
(3) Vgl. hierzu: Oder, Helge: „Kulturelle Nachhaltigkeit, Open Design und Prototyping“, in: Mareis, Claudia, Matthias Held und Gesche Joost (Hrsg.): Wer gestaltet die Gestaltung? Praxis, Theorie und Geschichte des partizipatorischen Designs. Bielefeld 2012, S. 141–155.
(4) Vgl. hierzu Waitz, Thomas: „Hacking: Selbst Machen“, in: Hornung, Annabelle u.a. (Hrsg.): Do it yourself: Die Mitmach-Revolution. Mainz 2011, S. 40–47.
(5) Hornung, Annabelle u.a. (Hrsg.): Do it yourself: Die Mitmach-Revolution. Mainz 2011.
(6) Friebe, Holm und Thomas Ramge: Marke Eigenbau: der Aufstand der Massen gegen die Massenproduktion. Frankfurt am Main 2008.
(7) Vgl. Reichert, Ramón: Amateure im Netz : Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0. Bielefeld 2008, S. 8ff.
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© Thilo Schwer 2017